Welche Rolle spielt die Entspannung im Yoga?

Wie kann man sich eigentlich einen Yogakurs vorstellen? Besteht er nur aus reiner Entspannung, dem Meditieren und dem Singen von OM? Oder ist Yoga eine körperlich anstrengende Übungspraxis?

Viele Menschen, die zum ersten Mal in meinen Yogakurs kommen, suchen entweder eine Möglichkeit zum Entspannen von Körper und Geist, oder haben den starken Wunsch nach Bewegung und Kräftigung des Rückens, um Schmerzen und Beschwerden abzubauen.

Diesen Wünschen trägt die Yogapraxis eine Rechenschaft und selbstverständlich sind beide Elemente in der Yogastunde enthalten: Die Kräftigung der Skelettmuskulatur und die Entspannung von Körper und Geist. Beides muss sich nicht widersprechen, sondern ergänzt sich ganz wunderbar.

Über das Verhältnis von Kraft und Entspannung gibt der Quelltext der Yogaliteratur einen wichtigen Hinweis:

„sthira-sukham-āsanam“ (Yoga Sûtra, Kapitel II, Vers 46)

In der Übersetzung wird deutlich, dass die Yogapraxis aus den Elementen sthira – der Kraft, mit Anspannung und Stabilität – sowie sukha – dem Bequemen, mit der Leichtigkeit und Entspannung – besteht und in der Kombination beider die Harmonie im physischen Körper āsana hergestellt werden kann. Folglich ergibt sich im Yoga ein Zusammenwirken aus Entspannung und Anspannung.

Die Verbindung und das Verhältnis beider vollziehen sich demnach über alle Elemente der Yogapraxis. Auf der Mikroebene bedeutet dieses Konzept, dass eine einzelne Yogahaltung stets beide Eigenschaften, die der Kraft und die der Leichtigkeit, gleichzeitig miteinander verbindet. So soll eine armgestützte Balancehaltung wie vasiṣṭhāsana in der Stützschulter, dem Stützbein und der Körpermitte eine deutliche Stabilität und zentrierende Kraft aufweisen, in der nach oben ausgerichteten Körperhälfte, dem Brustkorb, Nacken, Kopf und der Atmung allerdings das Gefühl von Leichtigkeit und Entspannung beinhalten.

Weiterhin wechseln sich aktivierende und entspannende Körperhaltungen miteinander ab. Das Bestreben hierbei ist es, dass in den kraftvollen und anstrengenden Haltungen die Muskulatur gekräftigt und der Körper stabilisiert wird, während die nachfolgenden entspannenden Haltungen genügend Zeit und Raum eröffnen sollen, damit die körperlichen Erfahrungen nachwirken und dem Yogaübenden die Möglichkeit des Loslassens und Beobachtens gegeben werden kann.

In der Makroebene wechseln sich über die Yogastunde hinweg ebenfalls beide Elemente des sthira und sukha miteinander ab. So beginnt der Einstieg häufig mit entspannenden Elementen, geht dann in aktivierende und kraftvolle Sequenzen über und endet mit einer Meditation und Tiefenentspannung von Körper, Geist und Atmung.  Schlussendlich bauen die Yogaeinheiten über einen längeren Zeitraum hinweg auf dem Verhältnis von anspruchsvollen und leichteren Yogastunden auf, sodass die zu erreichenden Ziele der Yogapraxis immer in der Ganzheitlichkeit beider Elemente wirken können.

Die schönste Möglichkeit, Anspannung und Entspannung auszuprobieren, ist es, eine unverbindliche Probestunde zu nehmen und Yoga selbst kennen zu lernen.

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