Was lehrt uns die bhagavad gita?

Die bhagavad gītā ist ein Teil des mahābhārata, des großen Volksepos Indiens über die Geschichte der Bharatas. Es zählt mit über zehntausend Doppelversen zu den umfangreichsten Werken der Weltliteratur und beinhaltet die zentralen philosophischen, religiösen und gesellschaftlichen Themen des Hinduismus.

Die gītā ist der wichtigste philosophische Ausschnitt dieses großen epischen Werkes, sie umfasst Teile des 6. Buches und ist vor dem Hintergrund der philosophischen advaita vedānta zu verorten.

Entstanden ist das Werk zwischen 1.000 v. Chr. bis 500 n. Chr., wobei genaue Angaben nicht erhoben werden können, da gemäß der indischen Tradition die Erzählungen über Jahrhunderte hinweg mündlich tradiert wurden, bevor eine Verschriftlichung erfolgte.

Die Handlung der gītā findet auf einem Kriegsfeld bei Kurukṣetra statt, auf welchem sich verfeindete Familienangehörige und ehemalige Freunde gegenüberstehen und die entscheidende Schlacht bevorsteht. Arjuna befindet sich in einem persönlichen Zwiespalt, der ihm unlösbar erscheint: Einerseits spürt er die Zuneigung zu seinen Familienmitgliedern und Verwandten auf der feindlichen Gegenseite, andererseits ist er seinen Pflichten als Fürst und dem Schutz der eigenen Familie, der Macht und des Landes unterworfen.

In dieser überaus schwierigen moralischen-ethischen Situation kommt es zu einem Gespräch zwischen Arjuna, der sich auf einem Streitwagen befindet, und seinem Wagenlenker Krishna. Inhalt des Gespräches ist die zentrale Fragestellung, weswegen Arjuna gegen seine eigenen Freunde und Verwandte in den Krieg ziehen muss. Hierbei erteilt nun Krishna dem verzweifelten Arjuna eine philosophische Lehrunterweisung und hebt hervor, dass allein die Handlung und die Tat das Wesentliche dieser Situation bestimmt, weniger die Verstrickungen des eigenen Egos und der eigenen Gefühle.

Yoga erfährt nunmehr über die gītā eine genauere Definition derart, dass das Prinzip des Karma den zentralen Platz einnimmt:

“yoga-sthaḥ kuru karmāṇi saṅgaṁ tyaktvā dhanañjaya siddhy-asiddhyoḥ samo bhūtvā samatvaṁ yoga ucyate”[1] (bhagavad gītā, Kapitel II, Vers 48)

Von übergeordneter Bedeutung ist demnach die Ausführung der Handlung und die Umsetzung der Tat, ohne von den Anheftungen an die Handlung oder dem Ego beeinflusst zu sein. Dieses Prinzip gilt daher im Sinne eines selbstlosen und altruistischen Dienstes, ohne auf die eigenen Vorteile bedacht zu sein und gleichwohl dieses Handeln als ein Opfer an die Natur anzuerkennen. Hierbei wird letztendlich eine Trennung zwischen Körper und Geist vollzogen, wobei sich diese Trennung auch in den handelnden Figuren widerspiegelt, da Arjuna in dieser Deutung als Repräsentant des menschlichen Egos und Krishna als des höheren Selbst angesehen werden kann.

Die Grundessenz der gītā ist demnach das Konzept des Nicht-Anheftens an die egoistischen Bedürfnisse, die Handlung oder die Folgen einer Handlung.

In der Summe haben die 18 Versgesänge die indische Philosophie maßgeblich beeinflusst und stellen den bedeutendsten Text der hinduistischen Literatur dar.

“In der Bhagavadgita finde ich einen Trost […]. Wenn mir manchmal die Enttäuschung ins Antlitz starrt, wenn ich verlassen, keinen Lichtstrahl erblicke, greife ich zur Bhagavadgita. Dann finde ich hier und dort eine Strophe und beginne zu lächeln, inmitten aller Tragödien […].” (Mahatma Gandhi)



[1]      Übersetzung: „O Dhananjaya (Arjuna), vollbringe all deine Handlungen, wobei du dich in den Yoga vertiefst, jede Anhänglichkeit (an die Früchte deines Handelns) vermeidest und angesichts von Erfolg und Misserfolg gleichmütig bleibst. Dieser geistige Gleichmut wird Yoga genannt.“ (Yogananda, 2007, S. 348)